St. Gertrudisbote

71. Jahrgang - September 2016



Predigt am Ostermontag, 28. März 2016, 70. Geburtstag von Äbtissin M. Bernarda Schmidt OSB
von P. Josef Weber SDB, Benediktbeuern

Die österliche Freude wächst langsam
Liebe Schwestern, ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass wir von einem Lebens-Weg und nicht von einer Lebens-Straße sprechen? Eine Straße ist normalerweise begrenzt, gut ausgebaut, übersichtlich. Sie hat einen klaren Anfang und ein klares Ziel. So weiß man, wie lange man braucht, um von hier nach dort zu gelangen. All das ist bei einem Weg anders: der Weg ist in der Regel nicht begrenzt. Deshalb können wir schnell vom rechten Weg abkommen. Ein Weg ist oft nicht ausgebaut. Deshalb wissen wir nicht, an welcher Stelle wir vielleicht liegen bleiben. Ein Weg ist oft unübersichtlich. Daher wissen wir nicht, was auf uns zukommt. Ein Weg kann voller Überraschungen sein. Wie das Ende eines Weges aussieht, wer weiß das schon? Kein Wunder also, wenn wir nicht von einer „Lebensstraße“, sondern von einem „Lebensweg“ sprechen.

Das erste Erzählen
Von einer Weg-Geschichte haben wir soeben im Evangelium gehört. Die beiden Jünger, Kleopas und der andere, der namenlos bleibt, sind unterwegs – weg von Jerusalem, dem Ort des Unglücks und der zerstörten Hoffnungen, zurück nach Emmaus. Emmaus liegt im Westen von Jerusalem. Sie gehen also der untergehenden Sonne entgegen. Dem Abend. Der Fins-ternis, der Nacht. Aber: sie sprechen miteinander über all das, was sich ereignet hatte. Sie tun, was man gerade noch tun kann, wenn einem die Trauer tonnenschwer auf die Seele drückt. Sie erzählen sich gegenseitig, was gewesen ist. Nicht, weil sie sich gegenseitig informieren müssten. Sie wissen ja, was war. Sie erzählen vielmehr, weil sie so dem nahe sind, den sie verloren haben.

Das zweite Erzählen
Als dann unterwegs der Fremde zu ihnen stößt, stört sie das gar nicht. Im Gegenteil: Seine Frage, worüber sie denn da reden, gibt ihnen erst recht Anlass zu erzählen, von vorne fangen sie wieder an – das zweite Erzählen: Weißt du nicht, was passiert ist? Und dann erzählen sie im Telegrammstil vom Auftreten Jesu angefangen über das Todesurteil und das Kreuz bis zum leeren Grab, mit dem sie nichts anfangen können. Sie listen sozusagen alles auf, was ihrer Trauer Recht gibt. Da ist nichts mehr, was sie darin be-irren könnte. Sie haben abgeschlossen. Was soll denn auch noch kommen. Sie haben sich buchstäblich eingesperrt in ihre Trauer. So ähnlich muss der Unbekannte in der Emmausgeschichte die beiden Erzähler empfunden haben, wie seine Reaktion zeigt: Er wundert sich über sie. Er korrigiert sie nicht und bringt auch nichts Neues ins Spiel. Er fängt stattdessen selber zu erzählen an von Dingen, die ihnen wohl vertraut sind – das dritte Erzählen.

Das dritte Erzählen
Ausgehend von Mose, schließt er ihnen auf, wie die ganze Bibel von nichts anderem als von ihm, dem Gekreuzigten, spricht – dass das, was da geschehen ist und sie so schockierte, in Gottes guten Händen geschah. Das haben die beiden auch irgendwie gemerkt. Deshalb lassen sie den Fremden nicht weitergehen, als sie Emmaus erreichen. Dass sie ihn drängen, bei ihnen zu bleiben, deutet an, dass auch noch etwas anderes im Spiel war als nur die erzählte Geschichte: Sie hatten den unbekannten Erzähler auf dem gemeinsamen Weg lieb gewonnen. Der israelische Schriftsteller David Grossmann bringt das, was da passierte, auf den Punkt, wenn er schreibt: „Wenn du jemanden liebst, willst du ihm deine Geschichte erzählen. Und du willst mit ihm zusammen sein, nicht nur, damit du deine Geschichte erzählen kannst, sondern damit die Art, wie er dich anschaut, eine neue Geschichte in dir weckt.“ In dieser Atmosphäre der Vertrautheit braucht es nur noch ein winziges Erinnerungszeichen, das Brotbrechen, und es fällt ihnen wie Schuppen von den Augen, dass Jesus nicht unterging, gar nicht untergehen kann. Sonst hätte die Geschichte nicht von Gott gehandelt, sondern von irgendjemand anderem. Und wer hätte sie so glaubwürdig erzählen können, wenn nicht er selbst! Das, was er erzählte, war es, das sie von innen her veränderte: „Brannte uns nicht das Herz, als er uns unterwegs den Sinn der Schrift erschloss?“

Weg-Geschichte von Mutter Bernarda
Doch da gibt es noch eine andere Weg-Geschichte: die Lebensgeschichte von Mutter Bernarda. Im Badischen geboren, trat sie 1968 ins Kloster in Tettenweis ein. 1992 wurde sie zur Äbtissin gwählt. Ihr Wahlspruch lautet: „In der Freude und in der Kraft des Heiligen Geistes“. Schwester Adelgundis hat dies auf einem Wandbehang über dem Abteistuhl in der Kirche bildlich ausgedrückt. Irgendwann vor Jahren, liebe Mutter Bernarda, haben sich auch unsere Wege gekreuzt, und dafür bin ich sehr dankbar. Heute dürfen Sie Ihren 70. Geburtstag feiern – und wir alle feiern mit Ihnen. Jemandem zum Geburtstag gratulieren, bedeutet, ihm sagen wollen: es ist schön, dass es dich gibt. Ja, liebe Mutter Bernarda, es ist schön, dass es Sie gibt, weil von Ihnen viel Segen und Hoffnung ausstrahlt. In den bisherigen 23 Jahren als Äbtissin haben Sie auch viel Schweres ertragen müssen…
Auf also nach Emmaus! Das Oster-Emmaus ist immer dort, wo das Wort verkündet und das Brot gebrochen wird. Emmaus ist hier mitten unter uns! ER wird uns auch in dieser Stunde der Eucharistie das Brot brechen – und uns allen werden die Augen aufgehen. Diese Erzählung von den beiden Jüngern, die uns der Evangelist Lukas so meisterhaft berichtet, wäre für uns doch nicht mehr als eines der vielen Ereignisse, die sich vor zwei Jahrtausenden zugetragen haben, wenn die beiden Jünger im Mittelpunkt des Geschehens stünden. Weil uns hier aber mehr verkündet wird als ein historischer Bericht, weil diese Weg-Gemeinschaften auch heute sich ereignen, und weil wir uns in den Gestalten der beiden Emmausjünger wiederfinden dürfen, ist dieses Ereignis in die Mitte des österlichen Geheimnisses gestellt. Welch eine Dimension eröffnet sich uns da! Das Ereignis hat mit unserem Leben zu tun! Von uns ist hier die Rede! Dies ist die Geschichte unserer Hoffnung. Auch unser Lebensweg ist manchmal ins Dunkel gehüllt. Wir kehren dem Ort, wo wir Hilfe und Heil erhofften, den Rücken. Doch bevor es uns noch bewußt ist, geht ER schon mit uns, begleitet uns, spricht uns Worte des Trostes und der Ermutigung zu. Er tut dies in der Gestalt jener Krankenschwester, die sich Zeit nimmt für ein paar Augenblicke, in denen sie schweigend die Hand einer Schwerkranken festhält. Er tut dies in der Gestalt jenes Lehrers, der ein Übermaß an Geduld aufbringt, damit alle Schüler den Lernstoff verstehen können. Er tut dies in der Gestalt jener Ehefrau, die bereit ist, ihrem Mann zu verzeihen
Und er, der Fremde, nahm das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen, und sie erkennen ihn. Jesus schenkt sich ihnen in der Mahlgemeinschaft. Zweimal wird's gesagt, dass jeder es merkt: Das Brotbrechen, das Teilen des Lebens ist das Geschehen, in dem Jesus erkannt wird. Da gehen die Augen auf und das Herz. Da wandelt sich im Namen Jesu nicht nur das Brot. Da wandeIn sich die müden, bleiernen Herzen zum brennenden Herzen: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust...“. Haus, Tischgemeinschaft – „Bleib doch bei uns". Da könnte man sich häuslich niederlassen. Aber Emmaus ist nur eine Station auf dem Wege. Wenn man ange¬steckt ist und wenn das Herz brennt, dann gibt es nichts Wichtigeres, als aufzubre¬chen. „Noch in derselben Stunde brachen sie auf...“. Sie eilen zu den anderen. Und was sie dort hören, können sie selbst bezeugen: „Der Herr ist wirklich auferstanden,“ Er lebt! Licht in der Nacht! Ungeahnte Horizonte tun sich den Wanderern auf für ihrer Lebensweg. Man kann sich heute leicht aus dem Staub machen, aber dann fragt man sich schließlich, warum man überhaupt aufbricht und unterwegs ist. Jeder mag darauf achten, dass ihm das Wort nicht ausgeht, das seinem Leben Richtung gibt, dass ihm das Brot unterwegs nicht ausgeht, das gebrochene Brot, von dem wir leben. Das ist das Erkennungszeichen für Jesus. Das schenkt uns die Gewissheit: Jesus lebt.

Aus unserer C H R O N I K :

Schwester Maria musste sich von 12. bis 16. April stationär behandeln lassen, hat aber längst wieder ihren gewohnten Rhythmus aufgenommen. ~ Von 18. bis 21.4. konnte Schwester Bonaventura wieder einen Klosterarbeiten-Kurs unter der Leitung von Frau Ute Keller in Niederaltaich mitmachen. ~ Die Jubiläums-Tagung der Cellerarinnen-AG (50 J.) fand von 25. bis 29.4. an ihrem „Geburtsort“ Maria Laach statt; Schwester Teresa nahm teil und beendete bei dieser Gelegenheit ihr Engagement als Vorsitzende. ~ Am 9. Mai beging Schwester Paula in Freude und Dankbarkeit das Silberjubiläum ihrer Profess! ~ Zusammen mit Pater Augustinus konnte sie dann am 14.5. die Priesterweihe des gebürtigen Tettenweisers Philipp Neri (Josef) Schmidbauer bei den Prämonstratensern in Windberg miterleben. ~ Im Rahmen der Oblatentage feierte Frau Dr. Angela Mendoza am Dreifaltigkeits-Sonntag ihre Silberoblation. ~ An der Heimatprimiz von Pater Philipp am 29.5. nahmen Schwester Andrea, Schwester Bonaventura und Schwester Paula teil. ~ Der Einladung zum diesjährigen Ordenstag am 4. Juni in Mallersdorf folgten Schwester Veronika und Schwester Paula; dabei beeindruckte sie ein Vortrag von Schwester M. Radegund Bauer über den sel. Paul Josef Nardini nicht weniger, als der gute Geist des Hauses.

Im Rahmen der Jahresversammlung unseres Herz-Jesu-Hilfsvereins am 5. Juni beschenkte uns Domkapitular Josef Fischer mit Gedanken über „Die Logik der pastoralen Barmherzigkeit“, (aus Amoris Laetitia, Nr. 305-312). Hier seine eigene Zusammenfassung:

1. Mut zum Leben in Begrenzungen
Für Papst Franziskus verläuft der Weg des christlichen Glaubens wesentlich „inmitten großer menschlicher Begrenzungen“. Sie sind immer gegeben und letzten Endes nicht zu übersteigen. Auch das Wachstum „im Leben der Gnade und der Liebe“ kann nur „inmitten der Begrenzungen“ geschehen. Der Papst wendet sich gegen eine Vorstellung, für die „alles weiß oder schwarz ist“. Wer es so sieht, versperrt nach seiner Ansicht „den Weg der Gnade und des Wachstums“. Zu gehen sind aber unbedingt „Wege der Heiligung, die Gott verherrlichen“. Er allein ist der Heilige (Gloria), der dreimal Heilige (Sanctus), der Quell aller Heiligkeit (Hochgebet). An uns ist es, auf ihn hin zu wachsen, ihm gerade dadurch die Ehre zu geben („Gott verherrlichen“), dass wir als begrenzte Menschen Schritte des Wachstums „im Leben der Gnade“ tun.

2. Mut zum Plan Gottes in seiner ganzen Größe
Papst Franziskus vertritt alles andere als ein Christentum zu herabgesetzten Preisen, ein >Evangelium light< oder irgendeine „Form von Relativismus“. Es geht ihm vielmehr darum, dass man gerade den jungen Christen die Möglichkeit eröffnet, „ganz am Leben der Kirche teilzunehmen“. Würde man sozusagen am Evangelium abspecken, so wäre das sowohl „ein Mangel an Treue gegenüber dem Evangelium“ als auch „ein Mangel an Liebe der Kirche zu den jungen Menschen selbst“. Gerade wenn die Umsetzung des göttlichen Gebotes schwierig scheint, muss man „den Weg der Liebe …beschreiten“. Denn sie deckt viele Sünden zu (vgl. 1 Petr 4,8). Wenn aber der Papst „Liebe“ sagt, meint er Erbarmen, meint er Mildtätigkeit, meint er die Liebe zueinander, also etwas sehr Konkretes, was wirklich etwas kostet, meint er fernab jedem bloßen Gefühl ein „rechtes Tun“.

3. Mut zur Barmherzigkeit
Der Papst macht keinen Abstrich an der Lehre des Glaubens. Was er aber will, ist eine neue und tiefe Achtsamkeit „gegenüber dem Guten, das aber der Heilige Geist inmitten der Schwachheit und Hinfälligkeit verbreitet.“ Der Papst fordert auf, das Risiko menschlicher Begegnung nicht zu scheuen und sich nicht zu gut zu sein dafür, „sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen“. Hier wird seine Ablehnung des schwarz – weiß – Schemas konkret. Man darf nicht warten, bis etwas ganz perfekt geschieht, sondern soll sich an „Wachstumsstufen“ orientieren. Kirche soll das Eine tun = das ganze Evangelium verkünden ohne Abstriche, und das Andere nicht lassen = in der Schwachheit der Menschen die Möglichkeit zum Guten sehen. Was die Gläubigen lernen müssen, ist: „die Logik des Mitgefühls mit den Schwachen anzunehmen und Verfolgungen oder allzu harte und ungeduldige Urteile zu vermeiden“. Es geht darum, uns schwachen Menschen eine Chance zu geben, zum einen das leuchtende Ziel und die Hilfe der göttlichen Gnade aufzuzeigen, zum anderen eine von tiefer Einsicht in die menschliche Hinfälligkeit getragene Barmherzigkeit zu üben und beides zu verbinden. Wir sollen Mut haben, den konkreten Menschen in ihrem Ringen, in ihrem Gelingen und in ihrem Versagen nicht auszu-weichen. Das ist für den Papst mit die größte Versuchung: dass wir immer gute Gründe finden, die es uns erlauben, „gegenüber dem Kern des menschlichen Leids auf Distanz zu bleiben“. „Mit dem konkreten Leben der anderen ernsthaft in Berührung zu kommen“, darum geht es dem Papst, und er weiß, dass die große Versuchung für den Christen darin besteht, sich vor dieser Begegnung zu drücken. Für ihn ist klar: ob einer lax ist, also zum andern sagt: Es gibt keine Sünde, oder ob einer rigoros ist, also zum andern sagt: Alles ist Sünde, beide treffen sich in dem einen Punkt, dass sie nämlich dem, der mit einer Not zu ihnen kommt, deutlich zu verstehen geben: Lass mich in Ruhe, belästige mich nicht. Das ist genau der Nicht-Barmherzige, für den das Leben aber dann letzten Endes selber leer, langweilig, freudlos, kümmerlich wird. Für den aber, der einem Menschen wirklich begegnet, wird das Leben, sein eigenes Leben „wunderbar komplex“. Also, wenn der eine die Hände über dem Kopf zusammen-schlägt, weil andere schon wieder was wollen, findet es Papst Franziskus „wunderbar komplex“.

4. Die Barmherzigkeit ist die leuchtendste Bekundung der Wahrheit Gottes.
Für Papst Franziskus ist die Barmherzigkeit nicht eine Größe, die mit anderen in Konkurrenz steht und schon gar nicht ein schmückendes Beiwerk. Er nennt die Barmherzigkeit Gottes „das pulsierende Herz des Evangeliums“. Als solches ist es nicht nur die Eigenschaft Gottes selber, sondern soll „das Herz und den Verstand jedes Menschen erreichen“. Gott allein ist der Heilige, und uns beruft er, Wege der Heiligung zu gehen. Er ist der Barmherzige, und wir als seine Kirche sollen ein Ort der Barmherzigkeit sein: „Die Braut Christi macht sich die Haltung des Sohnes Gottes zu Eigen, der allen entgegengeht und keinen ausschließt“. Als seine Kinder haben wir Anteil an seiner Heiligkeit und dürfen es wagen, „der bedingungslosen Liebe in der Seelsorge Raum zu geben“. Wir dürfen die Barmherzigkeit als den Ernstfall christlichen Glaubens in seiner täglichen Praxis sehen. Sie steht vordergründig in Spannung mit anderen Weisen oder Äußerungen des Glaubens, vor allem mit Gerechtigkeit und Wahrheit. Aber in der Ordnung des heiligen Gottes, der uns beruft, die Heiligen zu sein, ist eine zunächst hart scheinende derartige Spannung vielmehr als eine tiefe Einheit zu sehen. In ihr wird die Barmherzigkeit „die leuch-tendste Bekundung der Wahrheit Gottes“.


Herr Michael Stadler aus Oberaudorf erlag am 15.6. seiner bösartigen Krankheit. Er hat uns jahrelang ehrenamtlich beratend und helfend unterstützt. Am 21.6. vertrat Schwester Teresa unsere Gemeinschaft bei der Trauerfeier und der anschließenden Beerdigung. Wir bleiben ihm zutiefst dankbar!
Am 28.6. unterzog sich Mutter Bernarda einer Hüft-Operation. Schon am 5. Juli konnte sie entlassen werden, erholte sich einige Tage zuhause, und trat dann am 13. eine ambulante Reha in Bad Füssing an.
„Summa cum laude“ – mit Bestnote absolvierte Pater Augustinus am 29.6. an der Universität Wien sein Rigorosum. „Wir sind Doktor!“, resümierte Schwester Teresa mit einem Augenzwinkern, als wir unserem Spiritual zu seiner glänzenden Promotion zum Doktor der Theologie von Herzen gratulierten!
Am Morgen des 18. Juli rief Gott unsere Seniorin Schwester Adelgundis heim zu sich. Zwei Tage später feierten wir unter großer Anteilnahme das Requiem für sie, bei dem Pater Augustinus ausführte:
„Liebe Schwestern, liebe Angehörige, liebe Freunde und Bekannte der Verstorbenen!
Am vergangenen Montag, zur selben Zeit, da der Konvent die heilige Messe feierte, die auch auf die Krankenstation übertragen wurde, durfte unsere Mitschwester Maria Adelgundis das irdische Zelt verlassen und heimgehen in das himmlische Vaterhaus. Im Schlussgebet dieser Messe war die Rede vom Ablegen des alten Menschen und vom leben als neuer Mensch. Eben eine solche Verwandlung war in dieser Stunde an Sr. Adelgundis geschehen. Als der Priester das Hochgebet sprach, setzten bei ihr die Wehen des Todes ein, und als die Schwestern das Herr, ich bin nicht würdig beteten, tat sie ihren letzten Atemzug. Mir erscheint diese Gleichzeitigkeit von eucharistischer Wandlung und Sterben als ein schönes Zeichen dafür, dass hier ein Lebensweg in sein Ziel eingemündet ist, der von jungen Jahren an auf Gott ausgerichtet war. Schauen wir in dieser Stunde noch einmal zurück auf das Leben unserer Sr. Adelgundis!

Kindheit
Geboren wurde sie in den Morgenstunden des 2. August 1915 in Tetten-weis als Tochter des Postmeisters Heinrich und seiner Ehefrau Rosina Braunhofer. Noch am Nachmittag desselben Tages wurde sie in der Pfarrkirche getauft und erhielt den Namen Anna. Nach vier Mädchen hatten die Eltern eigentlich auf einen Jungen gehofft, doch nach der Geburt mussten die Nachbarn feststellen: „Jetzt hams wiada a Dirndl kriagt beim Braunhofer.“ Der Vater fand sich damit ab und sah in seiner jüngsten Tochter nun einfach den ersehnten Jungen. Das erste Lied, das Anna auf diese Weise singen lernte, war ein Soldatenlied: „Wer will unter die Soldaten, der muss haben ein Gewehr …“ In der Tat sollte sich Anna später für ein Soldatentum entscheiden, allerdings für ein besonderes ‒ für das Leben im Kloster. In ihren Lebenserinnerungen berichtet Sr. Adelgundis auch über ihre ersten Jahre. So hören wir von dem Temperament, das Anna von Anfang an auszeichnete. „Ich war sowieso ein kleiner Schreihals“, schreibt sie, „schrie außerhalb des Hauses oft wie am Spieß.“ „Ich war recht zornmütig, lag da meist auf dem Boden, strampelte und tobte. Da setzte mich Mutter oft in einen kleinen, alten Korbstuhl, ließ mich etwas seitwärts stehen und austoben bis ich ‚wieder brav‘ freigelassen wurde.“ Doch wurde Anna mehr in die Wiege gelegt als nur ein lebhaftes Temperament. Der Stammbaum ihrer weit verzweigten Familie, den Sr. Adelgundis später gründlich erforscht hat, weist mehrere bedeutende Persönlichkeiten auf. Ärzte sind darunter, Hofsängerinnen und Hofschau-spieler, aber auch ein Benediktiner. Bei den Braunhofers in Tettenweis waren Gesang und Musik zu Hause. Schon im Alter von sieben Jahren schickte der Vater Anna in das Kloster St. Gertrud zum Klavierunterricht. Von den Schwestern des Klosters wurde auch die Mädchenschule geführt, in die Anna 1921 eintrat. So kam das aufgeweckte Mädchen von Kindheit an in Kontakt mit dem benediktinischen Leben. Die christliche Glaubens-botschaft fiel bei Anna auf fruchtbaren Boden. Sie war in Gott und in Christus verliebt, erzählte sie, sie habe sich danach gesehnt, bald bei ihnen zu sein. Ganz natürlich sei ihr das Gebet gekommen, wenn sie über die Wiesen von Tettenweis dahin hüpfte. Aber auch die ernsteren Seiten des Lebens blieben ihr nicht verborgen. Ein dunkles Wolkenbild mit einem hellen Kreuz in der Mitte ließ sie das Ende der Welt erwarten: Jetzt werde Christus als Richter kommen, dachte sie. Das Unglück und der Tod eines ihr bekannten jungen Mädchens machten Anna ernster und nachdenklicher: Sie betete von jetzt an mehr. Bücher über Heilige und Märtyrer fesselten sie und begeisterten sie für die Missionen.

Lernschülerin
An diesem Punkt, liebe Schwestern und Brüder, übernahm der Kaplan Salzberger, der in jenen Jahren in Tettenweis wirkte, eine wichtige Rolle. Er war lebhaft daran interessiert, geistliche Berufungen zu fördern. Als Anna die Volksschule und die Sonntagsschule beendet hatte, sah er seine Stunde gekommen. Zunächst versuchte er, Anna in einen Missionsorden zu vermitteln. Doch da waren schon alle Plätze belegt. Und so nahm er Kon-takt mit der Äbtissin Mutter Editha auf. Als die Zeichen da auf Grün stan-den, schlug er Anna vor, als ‒ wie man damals sagte ‒ „Lernschülerin“ in die Abtei St. Gertrud zu gehen. Das Gebetsapostolat, so die Begründung, stehe über aller Tätigkeit und Missionsarbeit. Und er glaube, dass das der rechte Weg für sie sei. Anna ‒ damals 15 Jahre alt ‒ war natürlich nicht wenig überrascht. Drei Tage Bedenkzeit erbat sie sich schon. Doch dann stimmte sie zu. Und so kam Anna Braunhofer im Jahr 1931 in das Kloster St. Gertrud. 85 Jahre hat sie hier gelebt ‒ so lange wie keine andere Schwester.

Eintritt
Als Anna 18 Jahre alt geworden war, konnte sie mit dem Postulat be-ginnen. Der darauf folgende Eintritt in das Noviziat war dann noch einmal ein spürbarer Schritt. Von ihren Eltern und Verwandten begleitet begab sie sich am Christkönigsfest 1935 von ihrem Elternhaus nach St. Gertrud. Doch wer meint, in der damaligen Zeit habe ein solcher Schritt nur eitel Freude ausgelöst, der irrt. Es gab Bedenken ‒ drinnen wie draußen. So äußerte eine künftige Mitschwester: „Wie soll dieses moderne Mädchen das alles bei uns durchstehen?“ Eine andere sagte zu ihr: „Sie finden hier im Kloster ein Kreuz nach dem anderen.“ Ein wackerer Tettenweiser aber bot der nunmehrigen Sr. Adelgundis an, er werde gerne kommen und sie befreien: nachts mit einer Leiter über die Klostermauer. Doch davon wollte die Novizin nichts wissen. „Wenn ich gehe, dann gehe ich geraden Wegs durch die Pforte“, war ihre Antwort. Dazu kam es freilich nicht. Zusammen mit Sr. Elisabeth legte Sr. Adelgundis am 3. November 1936 die zeitlichen Gelübde ab. Drei Jahre später bekräftigte sie diesen Schritt durch die Feierliche Profess vor Bischof Simon Konrad Landersdorfer. Die Horizonte der Zeit hatten sich inzwischen in erschreckender Weise ver-finstert: Der II. Weltkrieg war ausgebrochen, und die Schwestern wussten, dass von den Nazis für Klosterleute nichts Gutes zu erwarten war. Doch Sr. Adelgundis stand in ihrer Entscheidung fest. In ihrem Herzen sang sie an diesem Tag: Haec requies mea in saeculum saeculi, hic habitabo, quoniam elegi eam ‒ Dies ist (der Ort) meiner Ruhe für alle Zeit, hier will ich wohnen, denn ich habe ihn erwählt (Ps 131,13).

Im Kloster
In den Jahren des Krieges war dieser Ort der Ruhe freilich bedroht. Eine Aufhebung des Klosters konnte abgewendet werden, indem man die Be-treuung der Wäsche aus einem nahen Fliegerhorst übernahm. In dem „Flickerhorst“, der auf diese Weise entstand, war auch Sr. Adelgundis mit von der Partie. Erst nach dem Krieg ergab sich für sie die Gelegenheit, ihre künstlerischen Fähigkeiten zu entfalten. Sie durfte Klavierunterricht geben und diente im Gottesdienst als Organistin und Kantorin. Die Oberen er-kannten auch ihre Fähigkeiten für die Bildende Kunst und ermöglichten ihr eine entsprechende Ausbildung. Eine wertvolle Lehrzeit verbrachte sie bei den Dominikanerinnen in Wettenhausen bei Augsburg. 1952 legte Sr. Adelgundis in Passau die Gesellenprüfung ab, 1957 folgte in München die Meisterprüfung. Die Wandbehänge, die Paramente und Fahnen, aber auch die Wandmalereien, die ihre künstlerische Hand schuf, prägen nicht nur das Gesicht unseres Klosters, sondern gingen weit hinaus in die bayerischen Lande und sprechen viele Menschen an. Zustatten kamen dieser künstlerischen Tätigkeit die theologischen Kenntnisse, die sich Sr. Adelgundis durch die Teilnahme an Fernkursen erwarb. Wenn man ihre Wandteppiche betrachtet, sieht man, welch treffliche und tiefgründige Gedanken sie sich über die dargestellten Glaubensgeheimnisse gemacht hat. Unsere Sakristei verdankt ihr wunderbare Messgewänder. Auch über ihr Hauptarbeitsfeld hinaus zeigte Sr. Adelgundis weit gespannte geistige Interessen. Schon in ihrer Kindheit war sie auf die geheimnisvolle Sternenwelt aufmerksam geworden. Sie befasste sich mit Atomphysik und christlicher Philosophie. Fremde Sprachen lockten sie. Über Latein und Englisch hinaus unternahm sie Anläufe, auch Russisch und Italienisch zu lernen, ja, sogar mit Griechisch versuchte sie sich. Neue Möglichkeiten für die Unter-nehmungslust von Sr. Adelgundis brachte sodann das Zweite Vatikanische mit der Öffnung der Klausur. Von nun an sehen wir sie öfters auf Reisen in nähere oder fernere Regionen. Ein Höhepunkt war ohne Zweifel im Heiligen Jahr 1975 die Reise nach Rom und Montecassino.

Alter und Tod
Liebe Schwestern (und Brüder)! Es entspricht dem Lauf des menschlichen Lebens, dass nach einer Zeit der voll entfalteten Tätigkeit die Kräfte allmählich zurückgehen. Sr. Adelgundis besaß ein recht stabiles und zähes Naturell, und so verlief dieser Prozess ganz allmählich. Schon in den 70er-Jahren konnte sie ihre Verantwortung für Orgel und Gesang in jüngere Hände legen. Sehr lange aber blieb sie in der Paramentenstrickerei tätig, wo sie in Sr. Hiltrudis eine treue Helferin hatte. Mit dem Voranschreiten der Jahre ging der Umfang der geleisteten Arbeiten zurück; aber erst in ihrem letzten Lebensjahrzehnt legte Sr. Adelgundis endgültig Nadel und Faden aus der Hand. „Alles andere ist geschwunden“, sagte sie, „jetzt bleiben nur mehr Loben! und Lieben!“ Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Sr. Adelgundis auf unserer Krankenstation, wo sie umsichtig betreut wurde und sich über jeden Besuch freute. Freilich hatten es die Pflegerinnen mit ihr nicht immer leicht: Die zornmütige Ader, die sich einst bei ihr als Kleinkind gezeigt hatte, trat wieder hervor. So war ihr Lieblingsgebet dieser Zeit durchaus berechtigt: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir. Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir. Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir“ (Bruder Niklaus von der Flüe). Besonders am Herzen lag ihr die Feier der heiligen Eucharistie, an der sie noch bis vor einigen Monaten täglich teilnehmen konnte. Im vergangenen Jahr konnte Sr. Adelgundis ihren hundertsten Geburtstag begehen, im Herbst dieses Jahres hätte sie ihr 80-jähriges Professjubiläum feiern können. Sie war die Seniorin unter den bayerischen Benediktinerinnen und auch die älteste Bürgerin von Tettenweis, wo sie ihr ganzes Leben ver-bracht hat. Nun ist sie aufgebrochen dem himmlischen Jerusalem entgegen, das sie auf einem der Wandteppiche in unserer Kirche so eindrucksvoll dargestellt hat. Der Seher Johannes vernahm die Worte: „Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. … Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt. Wer siegt, wird dies als Anteil erhalten: Ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein“ (Offb 21,5-7). In dieser Stunde beten wir: Möge Sr. Adelgundis bald eintreten dürfen in diese himmlische Stadt! Mögen wir ihr dort einst wieder begegnen und mit ihr teilhaben dürfen an der Fülle des Lebens, das niemals mehr endet!

***

Liebe Angehörige, liebe Vereinsmitglieder, Wohltäter und Freunde unserer Abtei, liebe Schwestern und Brüder,
nun bleibt mir nur noch, Ihnen einmal mehr für Ihr Interesse und Ihr Wohlwollen zu danken und Ihnen Gottes reichen Segen zu wünschen!
Im Gebet mit Ihnen verbunden grüße ich Sie herzlich,



Ihre

M. Bernarda Schmidt OSB

(Äbtissin)